Ein Experiment zu sozialen Medien zeigt, dass es möglich ist, dass Millionen Nutzende Fehlinformationen erkennen und sie selbstständig umgehen.
Plattformen für soziale Medien haben versucht, falsche Behauptungen zu bekämpfen oder sie zu entlarven. Doch Fehlinformationen verursachen mehr Schaden denn je. Sie beeinflussen alles von Wahlen und der öffentlichen Gesundheit bis zum Umgang mit Migrierenden und Flüchtlingen.
Gemeinsam mit Jigsaw, einer Abteilung von Google, die sich mit Bedrohungen für offene Gesellschaften beschäftigt, hat ein Forschungsteam der Universität Cambridge und der Universität Bristol im Vereinigten Königreich eine einfache Lösung vorgestellt, die in der Fachzeitschrift „Science Advances“ „Prebunking“ genannt wurde. Prebunking ist eine einfache Möglichkeit, Menschen vor Fehlinformationen zu „impfen“, indem ihnen einige grundlegende Kompetenzen im kritischen Denken vermittelt werden. Der Ansatz beruht auf der Inokulationstheorie, die erklärt, wie unsere Einstellungen und Meinungen vor Überzeugung und Beeinflussung geschützt werden können, genau wie unsere Körper vor Krankheiten geschützt werden können.Um nachzuweisen, dass ein einziges Video das Bewusstsein für Fehlinformationen schärft, führten die Forschenden auf YouTube eine Studie mit fast 30 000 Teilnehmenden durch. Sie erstellten eine Reihe kurzer Animationsvideos und luden diese in Werbespots hoch. Die Videos zeigen verschiedene manipulative Kommunikationstaktiken zur Verbreitung falscher Informationen.
Die Ergebnisse zeigen die Wirkung des Prebunking. Ungeachtet von Faktoren wie Bildungsniveau und Persönlichkeit verbesserten diese kurzen Impfvideos die Fähigkeit der Teilnehmenden, häufig zur Fehlinformation verwendete Manipulationsmethoden zu erkennen. Sie konnten viel besser zwischen falschen und wahren Informationen unterscheiden als vorher.
„Unsere Forschung liefert den notwendigen Machbarkeitsnachweis, dass das Prinzip der psychologischen Impfung ganz einfach auf Hundertmillionen Nutzende weltweit ausgeweitet werden kann“, kommentierte der Mitautor Prof. Sander van der Linden, Leiter des Labors für soziale Entscheidungsfindung in Cambridge, von dem aus die Studie durchgeführt wurde, in einer Pressemitteilung dieser Universität.
„Schädliche Fehlinformationen nehmen viele Formen an, doch die Manipulationstaktiken und Narrative werden häufig wiederholt und können vorhergesagt werden“, erklärte die Mitautorin Beth Goldberg, Leiterin Forschung und Entwicklung der Jigsaw-Abteilung von Google. „Über Strategien wie persönliche Angriffe zu schulen, durch die die Menschen manipuliert werden sollen, kann dazu führen, dass Fehlinformationen zukünftig nicht mehr so leicht geglaubt und verbreitet werden. Wir haben nachgewiesen, dass Werbevideos als Verbreitungsmethode von Prebunking-Botschaften eingesetzt werden können, um Millionen Menschen zu erreichen, möglicherweise noch bevor schädliche Narrative Fuß fassen können.“
„Propaganda, Lügen und Irreführung entstehen fast immer nach dem gleichen Muster“, fügte der Mitautor Prof. Stephan Lewandowsky der Universität Bristol hinzu. „Faktenprüfende können nur einen Bruchteil der online kursierenden Fehlinformationen widerlegen. Wir müssen den Menschen beibringen, die grundlegenden Muster zu erkennen, damit sie verstehen, wann sie in die Irre geführt werden.“Google setzt die Erkenntnisse bereits sinnvoll um. Jigsaw wird in Tschechien, Polen und der Slowakei eine Prebunking-Kampagne durchführen, um Fehlinformationen zu ukrainischen Flüchtlingen zu bekämpfen. Es herrscht jedoch viel Skepsis und die Menschen vertrauen den Technologieunternehmen nicht.
„Doch am Ende des Tages müssen wir uns der Wahrheit stellen, dass Unternehmen der sozialen Medien den Informationsfluss online zum Großteil kontrollieren. Um Menschen zu schützen, müssen wir also unabhängige, evidenzbasierte Lösungen finden, die Unternehmen der sozialen Medien tatsächlich auf ihren Plattformen umsetzen können“, äußerte Prof. van der Linden gegenüber der „BBC“. „Meiner Meinung nach werden wir nicht die Lösungen finden, die Menschen dazu befähigen, Fehlinformationen in ihren Netzwerken zu erkennen, wenn wir das den sozialen Medienunternehmen überlassen.“