Ein mit Unterstützung der EU entwickeltes personalisiertes Verfahren zur Modellierung des Gehirns zeigt vielversprechende Ergebnisse bei der Ermittlung von anfallsverursachenden Bereichen im Hirn.
Forschende des Human Brain Project (HBP) haben moderne Hirnmodellierungsverfahren entwickelt, mit denen die Medizin zuverlässiger erkennen könnte, wo epileptische Anfälle im Gehirn ihren Anfang nehmen. Folglich könnten auch die chirurgischen Prognosen verbessert werden. Dieses personalisierte Gehirnmodellierungsverfahren wurde mit Unterstützung des EU-finanzierten Projekts HBP SGA3 entwickelt und in einem in der Zeitschrift „Science Translational Medicine“ veröffentlichten Forschungsartikel beschrieben.
Bei etwa einem Drittel der an Epilepsie erkrankten Menschen sind Medikamente in Bezug auf die Regulierung von Anfällen weitgehend oder sogar vollständig unwirksam. Für diese Patientengruppe ist die chirurgische Entfernung der epileptogenen Zone, jenes Teils des Gehirns, in dem die Anfälle ihren Ursprung haben, die einzige möglicherweise wirksame Behandlung. Jedoch haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten ungeachtet des zunehmenden Einsatzes invasiver Eingriffe die Prognosen nur geringfügig verbessert. Gegenwärtig liegt die Erfolgsquote eines chirurgischen Eingriffs bei 60 %.Zur Erstellung und Simulierung personalisierter Netzwerkmodelle des Gehirns nutzte das Forschungsteam eine quelloffene Plattform mit der Bezeichnung The Virtual Brain (TVB). Diese Simulationsdienstleistung steht über die digitale Forschungsinfrastruktur EBRAINS zur Verfügung, die im Rahmen des EU-kofinanzierten Projekts HBP betrieben wird. The Virtual Brain ist das Ergebnis einer zusammen mit Mitarbeitenden durchgeführten Entwicklung des HBP-Wissenschaftlers Dr. Viktor Jirsa von der Universität Aix-Marseille, die Teil der HBP SGA3-Projektpartnerschaft ist.
Mit der Technologie kann simuliert werden, wie sich während eines epileptischen Anfalls die krankhafte Aktivität im Gehirn der Betroffenen ausbreitet. Auf diese Weise werden für die klinischen Fachleute die Zielbereiche der Operationen zuverlässiger erkennbar. Wie in einer auf der Website des Human Brain Project veröffentlichten Pressemitteilung berichtet wird, werden die Computermodellierungen für jede Person anhand von „individuell gemessenen Anatomie-, Strukturverknüpfungs- und Hirndynamikdaten“ erstellt. Die personalisierten Simulationen liefern im Grunde genommen eine virtuelle, an Epilepsie erkrankte Person (virtual epileptic patient, VEP) nach dem Vorbild der realen Betroffenen. Laut Pressemeldung wurde der Ansatz anhand einer Reihe retrospektiver Studien getestet, wobei die jüngste wissenschaftliche Arbeit in der Fachzeitschrift „Epilepsia“ veröffentlicht wurde.
Die virtuelle, an Epilepsie erkrankte Person ist das erste computergestützte Modell, mit dem die Ausdehnung und Organisation des Netzwerks der epileptogenen Zone abgeschätzt wird. Außerdem zeigt es im Vergleich zu den modernsten modellfreien Ansätzen von heute eine gute Genauigkeit bei der Erkennung von Zielgebieten. Zudem kann es Informationen über Hirnregionen liefern, die nicht von chirurgisch implantierten Elektroden abgeleitet werden.
Der Ansatz der personalisierten Gehirnmodellierung wird nun in einer groß angelegten klinischen Studie als ein Vorhersageinstrument bei der Operationsvorbereitung erprobt. Die Studie wird voraussichtlich bis 2025 laufen.
Die Forschenden nutzen die EBRAINS-Infrastruktur, um die Vorhersagekraft des Instruments mithilfe neuer hochauflösender Daten aus dem Human Brain Atlas des Human Brain Project weiter zu erhöhen. „Die computergestützte Neuromedizin muss hochauflösende Hirndaten und die Spezifität der Patientinnen und Patienten integrieren“, legt Dr. Jirsa dar. „Unser Ansatz stützt sich in hohem Maße auf die Forschungstechnologien von EBRAINS und konnte nur innerhalb eines groß angelegten, kooperativen Projekts wie dem Human Brain Project realisiert werden.“ Das Projekt HBP SGA3 (Human Brain Project Specific Grant Agreement 3) endet im September 2023.
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