Forschende wandelten die Eigenschaft, die gewöhnlich ein Hindernis für die Herstellung leichter, belastbarer Stähle darstellt, in einen Mechanismus um, der das Metall widerstandsfähiger gegen Wasserstoff-induzierte Rissbildung macht.
Wenn Wasserstoff, das leichteste und am häufigsten vorkommende Atom unseres Planeten, in hochfeste Legierungen wie Stahl eindringt, wird das Metall spröde. Dieses Phänomen, Wasserstoffversprödung genannt, schädigt das Material – die Duktilität und Festigkeit lassen nach. Dadurch entstehen Risse. Da Stahl etwa 90 % des Marktes für Metalllegierungen ausmacht, könnte selbst eine geringfügige Verbesserung der Eigenschaften weitreichende Auswirkungen mit sich bringen.
Je stärker das Metall, desto anfälliger ist es für Wasserstoffversprödung. Ein Forschungsteam des deutschen Max-Planck-Instituts für Eisenforschung verwandelte diese Schwäche in einen Vorteil und entwickelte eine Strategie, die intuitiv unlogisch erscheint: Die chemische Heterogenität in der Mikrostruktur des Metalls wird genutzt, um das Material rissbeständiger zu machen und das Risswachstum zu hemmen. Mit Unterstützung des EU-finanzierten Projekts SHINE nutzten die Forschenden genau jene Eigenschaft, die aufgrund ihrer nachteiligen Auswirkungen auf die Schadenstoleranz von Stahl gewöhnlich unerwünscht ist, um einen Mechanismus zu entwickeln, der die intrinsische Beständigkeit des Metalls gegen Wasserstoffversprödung verbessert. Ihre Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature Materials“ veröffentlicht.Das Forschungsteam wendete seine Strategie auf einen leichten, manganhaltigen hochfesten Stahl an und erreichte so eine hohe Dispersion manganreicher Bereiche innerhalb der Mikrostruktur des Materials. „Durch die gut entworfenen lokalen Varianten in der Struktur verbessert sich die Rissbeständigkeit lokal, da Pufferzonen entstehen, die Wasserstoff-induzierte Mikrorisse hemmen, welche sich ansonsten schnell innerhalb oder entlang der von Wasserstoff angegriffenen Phasen oder Phasengrenzen ausbreiten würden“, erläutern die Autorinnen und Autoren in der Studie.
Mithilfe dieser Methode kann die Beständigkeit gegen Wasserstoffversprödung um den Faktor zwei erhöht werden, ohne dass das Material dabei an Festigkeit und Duktilität einbüßt. „Die Strategie, die chemische Heterogenität zu nutzen, statt sie zu vermeiden, erweitert die Möglichkeiten der Mikrostrukturtechnik durch fortschrittliche thermomechanische Verarbeitung“, heißt es in der Studie.
Um ihre Ergebnisse zu erzielen, wandten die Forschenden Computer Coupling of Phase Diagrams and Thermochemistry (CALPHAD) an, einen phasenbasierten Ansatz zur Vorhersage thermodynamischer, kinetischer sowie weiterer Eigenschaften von mehrkomponentigen Legierungssystemen. Mithilfe von CALPHAD führte ihr Entwurf der Manganheterogenität in der austenitischen Phase zu einer hohen Dichte von manganreichen Pufferzonen, die über die Probe verteilt waren. „Während der Verformung der Legierung wird die dynamische Transformation von weichem Austenit in festes Martensit in diesen Pufferzonen durch die erhöhte mechanische Stabilität, die mit dem lokal höheren … [Mangan-]Gehalt zusammenhängt, lokal unterdrückt“, so die Autorenschaft. „Infolgedessen entwickelt sich die Mikrostruktur in eine hohe Verteilung weicherer Inseln, die in die harte Grundmasse eingebettet ist, was häufig dazu führt, dass … [Wasserstoff-]induzierte Mikrorisse abstumpfen und eingefangen werden.“
Das von der Forschungsgruppe genutzte thermodynamische Prinzip zur Entwicklung von Mikrostrukturen mit einem spezifischen Grad an chemischer Heterogenität umfasst das hohe kinetische Ungleichgewicht zwischen Phasenübergang und der Diffusion gelöster Stoffe, das bei legierten Stählen im Allgemeinen beobachtet werden kann. Daher kann dieser Ansatz auch auf viele verschiedene Hochleistungsstähle, die metastabilen Austenit enthalten, angewendet werden. Zudem ist er leicht auf etablierte industrielle Prozesse skalierbar.
Die mit Unterstützung von SHINE (Seeing hydrogen in matter) entwickelte Strategie könnte das Verständnis anderer fortgeschrittener Metallverarbeitungstechniken, wie der Pulvermetallurgie und der additiven Fertigung, verbessern. Das fünfjährige Projekt endet im Januar 2023.
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