Wie Sozialwissenschaft neue Wege aus der Klimakrise aufzeigen kann

Zu den zentralen Herausforderungen unserer Gesellschaft gehört es, Möglichkeiten zu finden, um den Klimawandel zu bekämpfen und den Einfluss der globalen Erderwärmung abzuschwächen. Das EU-finanzierte Projekt ENGAGE hat wichtige Interessengruppen an einen Tisch geholt, die sich an der Entwicklung völlig neuer globaler und nationaler Möglichkeiten zur Dekarbonisierung beteiligen sollten.

Zur Erarbeitung von Strategien, die die Ziele aus dem Übereinkommen von Paris umsetzen, brauchen politisch Verantwortliche, Industrie sowie Führungspersönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft gleichermaßen solide Daten als Ausgangspunkt und Richtschnur. Die Wissenschaft hat als Entscheidungshilfen integrierte Bewertungsmodelle (IAM) entwickelt – langfristige globale Szenarien, die die verschiedenen Wissensbereiche der Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und Wirtschaft in sich vereinen.

Das Projekt ENGAGE (Exploring National and Global Actions to reduce Greenhouse gas Emissions) ist ein auf vier Jahre angelegtes Forschungs- und Innovationsprogramm zur Entwicklung neuer Dekarbonisierungsoptionen. Dabei soll das Wissen, das traditionellerweise schon in den Bewertungsmodellen abgebildet wird, jetzt mit modernsten Erkenntnissen aus den Sozialwissenschaften ergänzt werden.

Das österreichische Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse koordiniert das Projekt, in dem 24 Partnerorganisationen aus 15 verschiedenen europäischen, asiatischen und südamerikanischen Ländern zusammenarbeiten. Dank der großen Bandbreite der beteiligten Expertise werden die erarbeiteten Optionen nicht nur glaubwürdig und legitim, sondern auch in konkreter Politik und Erfahrungen der Industrie verwurzelt sein. So wird es einfacher, die mehrdimensionale Machbarkeit von Dekarbonisierung zu analysieren und Möglichkeiten zur Stärkung der Klimapolitik zu identifizieren.

Die erarbeiteten Optionen sollen die Überschreitung der Temperaturziele so klein wie möglich halten und werden daher nicht auf kontroversen oder bisher noch nicht umgesetzten Technologien mit negativen Emissionen aufbauen. Stattdessen werden revolutionäre Innovationen und konzeptionell neue Ansätze in die Architekturen der internationalen Klimaabkommen integriert.

Bis 2023 läuft das Projekt ENGAGE noch regulär, hat aber bisher schon einige Erfolge vorzuweisen. Die erste Generation möglicher Optionen ist fertiggestellt und wurde in fünf Dokumenten veröffentlicht. Sie flossen als großer Beitrag in den Sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats – Arbeitsgruppe III (IPCC) ein, der wiederum Teil des Global Stocktake 2023 im Rahmen des UNFCCC (Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen) sein wird. Auch die Konzeption von Strategien für die Mitte des Jahrhunderts, die eine Klimaneutralität bis 2050 ermöglichen sollen, wird auf diesen Ergebnissen aufbauen.

Der „Scenario Explorer“ für den Sechsten Sachstandsbericht wurde ebenfalls von ENGAGE entwickelt und online bereitgestellt. Er ist eine zentrale Ressource für die Autorinnen und Autoren des IPCC, da sie mit seiner Hilfe eine umfassende und effektive Bewertung verschiedener Optionen durchspielen können.

Im Projekt wurde zudem ein Visualisierungstool entwickelt, um die mehrdimensionale Machbarkeit von Klimaschutzoptionen zu bewerten. Bewertungen von Zeitabläufen, der Stärke der Einflussnahme und der Größe der Probleme bei der Machbarkeit sind mit diesem Framework möglich, aber es lassen sich auch Ausgleichseffekte zwischen einzelnen Dimensionen der Machbarkeit identifizieren.

Für die Datenbank zum Sonderbericht des IPCC mit dem Titel „1,5 °C Globale Erwärmung“ wurden Szenarien mit diesem Framework bewertet und es bildete mit seiner Evaluation von Transformationsoptionen anhand von integrierten Bewertungsmodellen die Grundlage für den Zweiten Entwurf des Sechsten Sachstandsberichts des IPCC.


veröffentlicht: 2021-11-20
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