Die Erforschung dichter aktiver Materiesysteme und ihrer Kräfte

EU-finanzierte Forschende verwendeten eine Computersimulation, um die Eigenschaften glasartiger Systeme und ihr Stressverhalten zu untersuchen.

Dichte Gruppen selbstantreibender Partikel, die feststoffähnliche Zustände als sogenannte aktive Gläser eingehen können, sind allgegenwärtig in unserer Umwelt vorhanden. Diese dichten aktiven Materiesysteme reichen von Zytoplasma bis Zellgewebe und von Bakterienfilmen bis zu Verkehrsstaus. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben jüngst die dynamischen und mechanischen Eigenschaften solcher aktiven Gläser untersucht. Diese Systeme sind strukturell allerdings so ungeordnet und außer Gleichgewicht, dass ihr Verständnis sich als Herausforderung erwiesen hat.

Eine Methode, um die Eigenschaften aktiver Gläser zu untersuchen, ist, diese wie ungewöhnliche aktive Formen von physischer Materie zu behandeln. Forschende, die im Rahmen des EU-finanzierten Projekts RMAG unterstützt wurden, suchten nach Einblicken in diese Systeme und insbesondere in ihr Scherverhalten – den Stress, der durch den Druck in einem Stoff entsteht, wenn sich dessen Schichten in entgegengesetzter Richtung verschieben. Ihre Erkenntnisse wurden in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ veröffentlicht.

Das Forschungsteam simulierte ein Modell eines aktiven glasartigen Systems bei steter Scherung. In diesem System wurde jeder selbstantreibende Partikel durch eine Antriebskraft mit langsamen und zufälligen Richtungsänderungen angetrieben. „Wir erforschten die Reaktion eines Modells mit aktivem Material unter stetigem Antrieb, in dem das System zwischen zwei Wänden eingeschlossen ist, von denen eine stationär und die andere in Bewegung ist, um eine Scherverformungen zu erzeugen“, erklärt der Erstautor der Studie Dr. Rituparno Mandal von RMAG-Projektkoordinator Universität Göttingen in einer „EurekAlert!“-Pressemitteilung.Das Team fand heraus, dass die Partikelströmung zwar der von gewöhnlichen Fluiden ähnelt, die Kraftrichtungen jedoch eine versteckte Ordnung offenbaren: sie zeigen tendenziell – je nachdem, welche näher ist – in Richtung der oberen oder unteren Platte, während sich die Partikel mit Lateralkräften in der Mitte des glasartigen Systems ballen. „Bei einer ausreichend starken Antriebskraft konnten wir den Ordnungseffekt beobachten“, erklärt Dr. Mandal weiter. „Wir können den Ordnungseffekt nun auch mit einer einfachen analytischen Theorie vorhersagen, und diese Theorie stimmt überraschend gut mit der Simulation überein.“

Prof. Peter Sollich, Erstautor der Studie, ebenfalls von der Universität Göttingen, ergänzt: „Oft zerstört eine äußere Kraft oder ein Antrieb die Ordnung. Aber hier ist der Antrieb durch die Scherströmung der Schlüssel zur Mobilität der Teilchen, aus denen das aktive Material besteht. Sie brauchen diese Beweglichkeit, um die beobachtete Ordnung zu erreichen.“

Laut Prof. Sollich eröffnen die Ergebnisse dieser Studie „Forscherinnen und Forschern, die die mechanischen Reaktionen lebender Materie untersuchen, spannende Möglichkeiten.“ Das Projekt RMAG (Rheology and Mechanics of Active Glasses) soll neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Zellbiologie und Werkstoffkunde liefern und den Weg für die Gestaltung neuer aktiver Materialien mit bemerkenswerten Eigenschaften ebnen. Das Zweijahresprojekt endet im Oktober 2022.

Weitere Informationen:

RMAG Projekt


veröffentlicht: 2021-12-16
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