Europas lebensrettende Lockdown-Strategien auf dem Prüfstand

Laut einer neuen Studie konnten dank der geringeren Luftverschmutzung, die aus der ersten COVID-19-Lockdown-Phase in Europa resultierte, wahrscheinlich Hunderte Todesfälle verhindert werden.

Die Regierungsmaßnahmen, nach denen die Bevölkerung zu Hause bleiben oder Unternehmen zeitweise geschlossen werden mussten, sollten zwar vor allem die Verbreitung von SARS-CoV-2 stoppen, trotzdem hatten sie noch einen weiteren Vorteil für die Welt: Durch diese einzigartige globale Reaktion nahm die Luftverschmutzung in vielen Städten auf der Erde deutlich ab. Doch führte die geringere Belastung durch Luftverschmutzung letztendlich auch zu einem weltweiten Abfall der Sterblichkeitsraten?

Um diese Frage zu beantworten, führte ein am EU-finanzierten Projekt EXHAUSTION beteiligtes Forschungsteam eine Studie durch, die den geringeren Luftverschmutzungsgrad und die damit zusammenhängende Anzahl von Todesfällen untersuchte, die während der ersten Welle der Coronavirus-Pandemie vermieden werden konnten. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht.

Die Studie liefert neue wissenschaftliche Erkenntnisse, indem sie die Auswirkungen bestimmter Lockdown-Maßnahmen auf die geringere Konzentration von vier Schadstoffen in 47 europäischen Städten analysierte. Dabei wurden folgende Schadstoffe untersucht: Stickstoffdioxid (NO2), Ozon (O3) und Partikel mit einem aerodynamischen Durchmesser von weniger als 2,5 µm (PM2,5) und 10 µm (PM10). Anschließend wurde die Zahl der vermiedenen Todesfälle während dieser Zeit in 46 der untersuchten Städte abgeschätzt.

Anhand neuer Modelldaten des Copernicus-Dienstes zur Überwachung der Atmosphäre (CAMS) verglich das Forschungsteam die Luftschadstoffkonzentration in den Städten zwischen Februar und Juli 2020, wobei zwei Emissionsszenarien berücksichtigt wurden: Normalität und Lockdown. Mithilfe dieser Informationen schätzte es die jeweiligen städtischen Veränderungen in der täglichen Konzentration der einzelnen Schadstoffe ein. Anschließend wurden die Veränderungen der Schadstoffkonzentration mit der Härte der staatlichen Lockdown-Maßnahmen in den Städten in Zusammenhang gebracht.Nach der von EXHAUSTION unterstützten Studie waren striktere Maßnahmen bei der Reduzierung der Luftverschmutzung effektiver. Eine deutliche Reduktion der NO2-Werte war wahrscheinlich auf Maßnahmen zurückzuführen, die den Pendelverkehr einschränkten. Trotz der erheblichen Abnahme der Verkehrsemissionen sanken die PM2,5- und PM10-Werte weniger stark, da sie auch natürlichen Quellen entstammen. Schulschließungen und die Absage öffentlicher Veranstaltungen trugen deutlich zum Anstieg der Ozonkonzentrationen während des Lockdowns bei, während Einschränkungen bei Zusammenkünften geringere Ozonwerte nach sich zogen. Interessanterweise wirkten sich Maßnahmen, welche die Mobilität im Inland und Reisen ins Ausland einschränkten bzw. untersagten, anscheinend weniger auf die Luftverschmutzung in den Städten aus.

Die Studie zeigt, dass der beobachtete Rückgang der städtischen Luftverschmutzung dazu geführt haben könnte, dass in ganz Europa Hunderte von vorzeitigen Todesfällen vermieden wurden. Auf Grundlage der Schätzungen für Stickstoffdioxid, Ozon, PM2,5 und PM10 konnten in den 46 Städten (außer Pristina im Kosovo) insgesamt 486, 37, 175 bzw. 134 Todesfälle verhindert werden. Paris, London, Barcelona und Mailand zählten zu den sechs Städten, in denen die Zahl der vermiedenen Todesfälle durch Stickstoffdioxid und Feinstaub am höchsten war. Die meisten zusätzlichen Todesfälle durch Ozon wurden in London und Paris verzeichnet.

„Die Ergebnisse sind von enormer Bedeutung, da sie den quantitativen Nachweis erbringen, dass sich die staatlichen Maßnahmen gegen COVID direkt auf die Luftverschmutzungswerte in ganz Europa ausgewirkt haben, insbesondere, was Stickstoffdioxid betrifft“, beobachtet der Mitautor der Studie, Dr. Vincent-Henri Peuch vom CAMS, in einer Pressemitteilung auf „EurekAlert!“. „Abgesehen von der Analyse der Sterblichkeit in den ersten Monaten der Pandemie könnte sich diese Studie auf die Gestaltung künftiger Maßnahmen auswirken, da die Vorteile einer geringeren Umweltverschmutzung in unseren Städten für das Gesundheitswesen und die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen klar ersichtlich sind.“ Das Projekt EXHAUSTION (Exposure to heat and air pollution in EUrope – cardiopulmonary impacts and benefits of mitigation and adaptation) endet im Mai 2023.

Weitere Informationen:

EXHAUSTION-Projektwebsite


veröffentlicht: 2022-02-18
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