Von oben betrachtet sind die größten Flüsse der Welt an ihrem sich schlängelnden Verlauf zu erkennen. Doch wie entstehen diese Formen, verändern sie sich im Laufe der Zeit – und ist das von Bedeutung? Wir haben Carmelo Juez, unseren Experten für Flusssysteme, dazu befragt.
Wasser fließt bergab und folgt dabei dem Weg des geringsten Widerstands. Und mit der Zeit kann sich ein Fluss auf seinem Abwärtsverlauf sogar einen Weg durch die Berge bahnen. Es erscheint daher erst einmal unlogisch, dass Flüsse mit der Zeit eher länger und gewundener als gerader werden.
Laut Juez handelt es sich jedoch um eine falsche Vorstellung, dass Flüsse einen geraden Weg von den Bergen ins Tal nehmen. Flüsse entwickeln Kurven und Windungen, die den Widerstand erhöhen und das Gefälle verringern, um die Wasserenergie beim Durchqueren von Niederungen zu steuern.
„Deren Geometrie minimiert den Energieaufwand an jedem Flussabschnitt. Wenn Sie einen Berg hinunterwandern, könnten Sie ebenso geradeaus laufen, aber es ist weniger anstrengend, im Zickzack zu gehen“, erklärt Juez. Wenn ein Fluss fließt, führt er Sedimente mit sich, die einige Ufer erodieren und andere verstärken.
„Die einzigen Flüsse mit einer einheitlichen und regelmäßigen Geometrie sind von Menschenhand geschaffen. Das sind Flüsse, die für zivile Infrastrukturen wie den Hochwasserschutz oder zur Gewinnung landwirtschaftlicher Nutzflächen kanalisiert wurden“, fasst Juez zusammen.Wodurch wird aber nun die Form eines Flusses bestimmt, und wie kann sie sich im Laufe der Zeit verändern? Der Verlauf eines Flusses wird hauptsächlich von zwei Schlüsselfaktoren beeinflusst, die als „Regime“ bezeichnet werden: Abfluss und Sediment.
Beim Abflussregime geht es um die Geschwindigkeit und den Zeitpunkt des Wasserflusses, der von Klimavariablen wie Niederschlag und Lufttemperatur abhängt. Zusätzlich beeinflussen die Menge, die Art und der Zeitpunkt der Sedimentablagerung sowie die lokale Topografie den Flusslauf, ebenso wie die Wechselwirkung zwischen Sediment und Wasser.
Die früheren Arbeiten von Juez im Rahmen des Projekts SEDILAND, das über die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen unterstützt wurde, haben verdeutlicht, wie empfindlich diese dynamischen Prozesse auf Veränderungen der Landnutzung und der Bodenbedeckung reagieren.
Die Analyse von 15 Jahren hydrologischer Aufzeichnungen und Sedimenterfassungen aus vier Einzugsgebieten in den spanischen Pyrenäen mit ähnlichen geophysikalischen Merkmalen ergab, dass Landnutzung und Bodenbedeckung die Zeitskala der Veränderungen im Sedimentregime bestimmen.
Wie SEDILAND ebenfalls hervorgebracht hat, können Veränderungen der Bodenbedeckung und -nutzung die Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel, der den Flusslauf und die Sedimentablagerung verändern kann, entweder unterstützen oder behindern.
„Der Klimawandel verändert den Zeitpunkt der saisonalen Niederschläge, der Schneeschmelze oder des Abschmelzens von Gletscherbecken und führt zu Überschwemmungen, die die Ufer erodieren können. Er kann sich auch auf die Sedimentproduktion auswirken – trockenere Einzugsgebiete, extremere thermodynamische Vorgänge, Veränderungen der Vereisungs- und Schmelzzyklen – all dies verändert die Sedimentmenge in den Flusssystemen“, fügt Juez hinzu. „Wenn diese Ereignisse häufiger auftreten und länger andauern, werden sie die Form und den Verlauf der Flüsse verändern.“
Dabei handelt es sich allerdings um keinen linearen Prozess, da Landnutzungsänderungen, die manchmal als Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels dienen, selbst unvorhergesehene Folgen haben können. So wurde in einer Studie berichtet, dass die Ausweitung des Waldes in einem Flusseinzugsgebiet in den spanischen Pyrenäen zu einer abrupten Ablagerung von Sedimenten im Flussbett führte.Bislang wurden die Morphologie des Flussbettes und die Eigenschaften des Sedimentregimes an Flussabschnitten unterschiedlicher Länge untersucht, wobei die Standorte auf der Grundlage von Veränderungen der Landbedeckung, wie Aufforstung oder Beweidung, ausgewählt wurden.
„Da die Daten standortspezifisch sind, waren sie begrenzt. Heutzutage können unbemannte Luftfahrzeuge in Kombination mit Algorithmen des maschinellen Lernens die Ursachen und Folgen lokaler Veränderungen in Flusssystemen mit langfristigen globalen Störungen verknüpfen. Ich gehe davon aus, dass uns die probabilistische Modellierung bald einen noch genaueren und ganzheitlicheren Überblick verschaffen wird“, so Juez abschließend.
Die komplexen Windungen eines Flusses erzählen also von der umgebenden Landschaft und dem Klima – und davon, wohin sich der Fluss als Nächstes winden könnte.
Klicken Sie hier, um mehr über Juez’ Forschung zu erfahren: Sedimentanalyse zeigt Beeinträchtigung von Flüssen durch veränderte Flächennutzung